Color Grading für Einsteiger:innen

Bei der Erstellung großartiger Videos ist das Color Grading sozusagen die „Geheimzutat“. Dom Salmon lüftet das Geheimnis und zeigt euch, was Color Grading ist, wie es geht und warum die neue Nikon Z50II ideal dafür ist
In der Welt der bewegten Bilder ist Color Grading der Feenstaub, der euren Videos Stimmung, Dramatik und Emotionen verleiht. Aber was genau ist das eigentlich? Ohne jegliches Vorwissen mag das alles ein bisschen kompliziert erscheinen. Mit einem soliden Grundverständnis und ein paar Basics werdet ihr jedoch schnell feststellen, dass auch ihr mit ein paar einfachen Klicks euren Filmen eine neue Dimension verleihen und euer Publikum visuell fesseln könnt.
Was ist Color Grading, und warum ist sie wichtig?
Das erste Mal, dass mir Color Grading bei Filmen wirklich bewusst wurde? Als ich die „Dailies“ (d. h. das nicht korrigierte Filmmaterial eines Drehtages, auch „Rushes“ genannt) aus dem Film Der Pate sah. Es wirkte alles ein bisschen … schäbig. Ausgefressen und platt.
Das Endergebnis auf dem Bildschirm hingegen war atemberaubend. Was also war in der Zwischenzeit geschehen – zwischen entwickeltem Negativ und fertigem Film? Die Antwort darauf ist natürlich das Color Grading – die Steuerung des Kontrasts, der Farben und die Veränderung der Belichtung des Bildes in der Nachbearbeitung, um den „Look“ des Endprodukts zu verbessern.

Der Pate | Eröffnungsszene
Die düstere, grüblerische Atmosphäre dieses legendären Meisterwerks ist in hohem Maße von der gedämpften Beleuchtung und den Ockertönen von Kameramann Gordon Willis beeinflusst
Anwendungsbeispiel 1: Rettungsaktion
Das Filmen von Videos außerhalb einer kontrollierten Studioumgebung (also an einem Filmset oder auch im Zimmer von YouTuber:innen) ist keine genaue Wissenschaft. Nur selten hat man beim Filmen die volle Kontrolle über den Drehort – ganz gleich, ob man Anfänger:in oder Profi ist.
Infolgedessen kann das Material unterbelichtet sein, hart und kontrastreich aussehen, eine seltsame Farbe haben usw. Jedes Color Grading startet mit einer Farbkorrektur. So lassen sich Belichtung, Kontrast und Weißabgleich optimieren – und für den Papierkorb bestimmtes Filmmaterial verwandelt sich auf einmal in etwas Ansehnliches.
Dies ist aber nur ein Beispiel für Farbkorrektur als einfaches Instrument. Je mehr ihr euch damit beschäftigt, euer Filmmaterial zu retten und Probleme zu erkennen, desto mehr könnt ihr derartige Fehler in Zukunft vermeiden – was wiederum den Schnitt erheblich erleichtert.
Typische Techniken für diese Art der Korrektur:
- Passt Belichtung und Kontrast an, um versteckte Details hervorzuheben
- Korrigiert den Weißabgleich für einen natürlicheren Farbton
- Verringert das Rauschen in dunklen Bereichen.
Eine Video-Farbprüfkarte (im Video oben zu sehen) ist ein hervorragendes Hilfsmittel, um die Baseline eures Filmmaterials zu ermitteln. Filmt ein paar Sekunden mit eurer Beleuchtungseinstellung und seht, was in eurem Bildausschnitt nicht passt. Wenn ein weißes Quadrat zum Beispiel blassblau aussieht, ist die „Temperatur“ des Weißabgleichs zu hoch eingestellt.
Anwendungsbeispiel 2: Aufsehenerregende Ergebnisse
Als nächstes Beispiel sind unsere Aufnahmen gut belichtet. Doch es fehlt ihnen an Leben: Sie sind nicht sehr dynamisch; Vorder- und Hintergrund unterscheiden sich nicht besonders voneinander. Das ist ein bisschen enttäuschend. Was können wir da tun?
Wir konzentrieren uns auf Dinge wie Kontrast, Farbsättigung und Belichtung. Damit verstärken wir die Trennung zwischen Motiv und Hintergrund und verleihen dem Filmmaterial generell etwas mehr 3D-Optik und Präsenz.
Ein Tipp fürs Aufnehmen: Versucht nicht immer, im Nachhinein zu korrigieren. Eine geringe Tiefenschärfe ist zum Beispiel eine natürlichere und einfache Möglichkeit, das Motiv vom Hintergrund zu trennen. Denkt daran: Es ist immer leichter, ein vorhandenes Merkmal eures Filmmaterials zu verbessern, als es später grundlegend verändern zu müssen.
Typische Techniken für diese Art des Color Grading:
- Kräftigere Farben mit mehr Farbsättigung
- Erhöht den Kontrast zwischen Vorder- und Hintergrund für eine bessere visuelle Trennung eures Motivs
- Fügt eine selektive Farbkorrektur hinzu (z. B. Verstärkung des blauen Himmels oder grünen Laubes).

Vor und nach dem Color Grading
Anwendungsbeispiel 3: Ein Werkzeug für Storytelling
Color Grading ist für Filmemacher:innen ein wichtiges Mittel zum Erzählen ihrer Geschichten. Ganz gleich, wie groß oder klein euer Projekt ist – die Konzepte der größten Blockbuster könnt ihr auch für eure eigenen Filme nutzen. Sehen wir uns dazu zwei äußerst unterschiedliche Beispiele aus aktuellen Filmen an.
Den Anfang macht der Body-Horror-Mash-up-Kracher The Substance. In Zusammenarbeit mit Regisseurin Coralie Fargeat schuf Kameramann Benjamin Kračun für diesen Film eine beeindruckend überzogene Farbpalette und einen „hyperrealen“ Look. Kräftige Grundfarben, knallige Sättigung und jede Menge Kontrast – das Ergebnis von richtig hartem Licht. Alles in allem erscheint das Bild sehr hart, fast schon aggressiv. In Verbindung mit extremen Weitwinkelobjektiven und Nahaufnahmen erzeugt dies Verwirrung beim Betrachten und verstärkt den Gedanken, dass die wahrgenommene Realität in Wirklichkeit eine „Fälschung“ ist. Es ist ein sehr radikaler und bewusster Versuch, die Betrachtenden zu beeinflussen.

The Substance | Pump it Up mit Sue
Grelle Farben, harte Kontraste, verrückte Blickwinkel – The Substance ist eine Reizüberflutung für die Zuschauer:innen.
Am anderen Ende der Skala steht die aktuelle Batman-Interpretation des DC-Superhelden. Im Gegensatz zu The Substance haben Regisseur Matt Reeves und Kameramann Greig Fraser eine sehr melancholische Farbpalette aus fast monochromen Bildern mit besonders tiefen Orange- und Ockertönen verwendet. Zusammen mit verschwommenen, unscharfen Bildern ist dies die ausdrucksstarke Interpretation eines sehr beklemmenden Gotham voller Schatten.

Batman | Iceberg-Lounge-Kampf
Der düstere, nahezu monochrome Look von Batman ist ein wirkungsvolles Mittel, um das Publikum in die Welt des Superhelden eintauchen zu lassen.
Euer Filmmaterial kann durch die Umsetzung solcher Ideen sehr viel ansprechender und wirkungsvoller werden (z. B. nehmt ihr eine sehr helle, farbenfrohe Palette für ein Tanzvideo und einen sehr zurückhaltenden, nüchternen Look für ein ernstes Interview).
Typische Techniken für diese Art des Color Grading:
- Übertreibt ruhig den Einsatz von Belichtung – ob dunkel oder hell –, um eine Stimmung zu erzeugen
- Erstellt eine Farbpalette und einen Stil, der die Geschichte widerspiegelt
- Beim Anschauen fühlt man sich in eine „Realität“ versetzt, die einen stärker ins Geschehen einbindet.
So startet ihr mit dem Color Grading
Color Grading wirkt auf den ersten Blick kompliziert? Keine Sorge, es ist einfacher, als ihr denkt …
Ständige Recherche
Jedes Mal, wenn ihr euch einen Film oder eine Fernsehsendung anseht, seht ihr, wie jemand anhand des visuellen Looks seine Themen und Geschichten reflektiert und deren Ausdruck verstärkt. Es ist also ein guter Zeitpunkt, um eine Sendung oder einen Film, der euch wirklich bewegt hat, noch einmal anzuschauen – und darauf zu achten, wie der visuelle Stil zu eurem Erlebnis beigetragen hat.
Immer dabei
Wenn ihr nicht gerade eine Aversion gegen Bearbeitung und Filter habt, werdet ihr wahrscheinlich eure Handyaufnahmen optimieren, bevor ihr sie online stellt. Ihr könnt euch freuen, das geht nämlich auch mit spiegellosen Nikon-Kameras – nur mit viel höherer Leistung und besserer Kontrolle.
Es kann sofort losgehen
Wenn ihr zum ersten Mal einen nichtlinearen Desktop-Editor wie Final Cut Pro von Apple öffnet, kann einen das erstmal entmutigen – doch keine Angst! Wenn ihr ein Bildbearbeitungsprogramm wie Nikons NX Studio nutzt (und das solltet ihr – es ist kostenlos!), sind die Vorgänge weitgehend die gleichen. Die Steuerelemente für die Farbanpassungen in Foto-Software sehen ihren Gegenstücken für Videos sehr ähnlich. Wenn ihr also schon einmal Fotos bearbeitet habt, wisst ihr viel mehr, als ihr denkt.
Farbräder
Wir beginnen mit dem wichtigsten Werkzeug zur Farbabstufung: Farbräder. Ich bevorzuge die von Final Cut Pro, aber andere Software ist genauso gut.


Auf der linken Seite seht ihr die vier „Räder“ selbst. Sie sind im Wesentlichen identisch, behandeln aber unterschiedliche Teile des Bildes. GLOBAL wirkt sich, wie der Name schon sagt, auf das gesamte Bild aus (z. B. durch die Erhöhung der Gesamtbelichtung). SCHATTEN, MITTLERE TÖNE und HIGHLIGHTS hingegen behandeln nur die jeweiligen Bereiche des Helligkeitsspektrums. Sie machen z. B. die Schatten dunkler oder „schwärzer“.
Jedes Rad hat drei „Teile“:
- Links befindet sich ein Schieberegler, der die Farbsättigung (und damit die Lebendigkeit der Farben) im jeweiligen Teil des Bildes erhöht.
- Der mittlere „Pin“ im Kreis bestimmt, welche Farbnote euer Bildbereich bekommt – gesteuert durch die Farben am Rand. Wenn ihr z. B. den mittleren Pin in Richtung des roten Randes des GLOBAL-Kreises zieht, wird dem gesamten Bild ein roter Farbton hinzugefügt. Umgekehrt, wenn das Bild insgesamt etwas violett aussieht, kann dies durch Ziehen desselben Schiebereglers in Richtung der grünen Seite (d. h. „weg“ vom violetten Rand) korrigiert werden.
- Der letzte Schieberegler auf der rechten Seite ist für die Belichtung bzw. Helligkeit dieses Bereichs. Hauttöne beispielsweise liegen oft im MITTLEREN Tonwertbereich, sodass ein kleiner Helligkeitsschub hier dazu beitragen kann, Gesichter hervorzuheben.
Beachtet Folgendes: Die Namen dieser Räder sind je nach Software unterschiedlich – z. B. wird „Global“ manchmal „Master“ genannt –, aber die Funktion ist dieselbe.
Rechts werden die Räder in numerischer Form angezeigt, aber auch mit Farbtemperatur, Tönung und Farbton. Unten befindet sich „Mix“ – ein Mischregler, mit dem ihr festlegen könnt, wie stark sich diese Farbkorrektur auf euer endgültiges Bild auswirkt (Null bedeutet keine Wirkung, 100 bedeutet volle Wirkung).
Tool-Tipp: Ich neige dazu, meine Farbräder zu überdrehen bzw. es mit der Korrektur zu übertreiben. Den „Mix“ verwende ich dann, um ein Gefühl für die perfekte Einstellung zu bekommen. Außerdem verwende ich das Kontrollkästchen „X“, um den Effekt immer mal wieder ein- und auszuschalten. So kann ich sehen, wie sehr sich meine Korrektur von der Originalaufnahme unterscheidet. Wie bei den Verstärkern im legendären Film Spinal Tap ist es sehr einfach, alles bis zum Anschlag hochzudrehen – und so den Effekt zu übertreiben. Das kann künstlich und unnatürlich wirken und ist eine Falle, in die man leicht hineintappt.
Doch wenn ihr erst einmal ein Gefühl für die Farbräder bekommen habt, so habt ihr das Geheimnis des Color Grading im Großen und Ganzen schon geknackt. Ihr werdet sehen, dass es erstaunlich einfach zu handhaben ist.
Zum Beispiel:
- Ist das Filmmaterial etwas dunkel und ausgefressen? Schiebt die Schieberegler für Master-Farbsättigung und Belichtung etwas nach oben. Das sollte die Helligkeit und die Farben eures Filmmaterials verbessern.
- Es fühlt sich flach an und fehlt an 3D-Effekt? Verringert die Belichtung für die Schatten und erhöht die Belichtung für die Spitzlichter. Ihr werdet sofort eine Veränderung des Kontrasts und des Dynamikbereichs feststellen.
- Ihr möchtet das Motiv stärker vom Hintergrund abheben? Verringert die Belichtung der Schatten (wo sich wahrscheinlich euer Hintergrund befindet), aber zieht auch den Pin in Richtung der blaugrünen Farbe am Rand des Rades (unten rechts). Dann hellt die Mitteltöne auf (wo sich das Motiv befindet) und schiebt den Pin in Richtung der orangen Seite (oben links). Euer Motiv sollte sich nun ganz subtil besser vom Hintergrund abheben. Übrigens ist dies ein klassischer orangefarbener/blaugrüner Look („Orange/Teal“), der derzeit in Film und Fernsehen sehr in Mode ist. Selbst wenn der Hintergrund und das Motiv belichtungsmäßig nahe beieinander liegen, sollte das helfen. In den nächsten Folgen erfahrt ihr, wie ihr mit Maskierung noch zielgerichteter beim Color Grading eures Materials vorgeht.
Loslegen!
Also, keine Ausreden. Importiert euer Filmmaterial, ruft das Panel auf, spielt mit den Schiebereglern und seht, was passiert. Ich glaube fest daran, dass man seinem Auge vertrauen sollte. Beobachtet also, wie sich die einzelnen Optimierungen auf euer Bild auswirken und ob es dadurch besser wird oder nicht.
Am Anfang ist es etwas mühsam – aber irgendwann macht es „Klick“ und ihr könnt jeden gewünschten Look erzielen, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Wenn ihr meint, dass es richtig aussieht, dann ist das auch so. Vertraut eurem Instinkt!
Vor allem aber werdet ihr sehr bald euren eigenen Stil finden. Erstellt ihr gerne helle, primärfarbene Inhalte oder eher düstere, körnige Dokumentarfilme? Das könnt nur ihr entscheiden. Und denkt daran, dass alle führenden Software-Anwendungen die Möglichkeit bieten, jeden selbst erstellten „Look“ als Voreinstellung zu speichern. So könnt ihr ganz schnell eine visuelle Bibliothek mit euren persönlichen „Vibes“ aufbauen und euch bei euren künftigen Aufnahmen viel Arbeit ersparen. Genau wie bei der Bearbeitung von Fotos könnt ihr zudem die Voreinstellungen anderer (sogenannte LUTs) herunterladen, um sofortige Ergebnisse zu erzielen. Mehr über LUTs (auch kostenlose von Nikon/RED) findet ihr hier.

Ich gebe euch Aufgaben mit auf den Weg, die euch helfen sollen, die Farben eurer Videos zu verbessern. Und in Teil 2 unserer Color-Grading-Serie befassen wir uns mit der Aufnahme von RAW- und Log-Filmmaterial für noch mehr Kontrolle sowie mit LUTs als Sprungbrett für eure Kreativität.
- Grabt misslungene Filmaufnahmen aus und schaut, ob ihr sie retten könnt. Vielleicht hilft eine globale Verstärkung der Belichtung und der Farben. Wenn nicht, hebt vielleicht die Aufhellung der Mitteltöne das Motiv besser hervor.
- Greift auf Aufnahmen zurück, mit denen ihr recht zufrieden wart, und erhöht ein bisschen die Helligkeit, den Kontrast und die Farbsättigung (seid dabei aber ganz vorsichtig – wie mit besonders scharfem Chili).
- Sucht euch einen Clip mit erzählerischem Charakter (z. B. eine Straßenszene, eine Landschaft oder eine Veranstaltung). Überlegt, wie ihr einen starken visuellen Eindruck erzeugen könnt, um euer Publikum zu fesseln. Von einem nüchternen, fast monochromen Look bis hin zu einer sehr lebendigen, aufmunternden Stimmung – es sind euch keine Grenzen gesetzt!
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